Der Wissensstand der modernen Wissenschaft

Vieles spricht dafür, dass die Menschheit gerade erst anfängt, die Natur wirklich zu erforschen. Daraus  
folgt, dass einige Theorien, die heute noch als Pfeiler einer Wissenschaft gelten, vielleicht morgen  
schon keine Gültigkeit mehr haben werden. Besonders relevant sind die modernen Geräte und  
Methoden, die den Wissenschaftlern erst seit sehr kurzer Zeit zur Verfügung stehen. Auch die  
Möglichkeit Messwerte mit nie erreichter Genauigkeit erfassen zu können, ist relativ neu, wozu auch  
die Weltraum-Technik beiträgt.
 
Herrn Martin Neukamm, einem Evolutionisten, wurde einst auch die folgende Frage gestellt:  "Worin  
sehen Sie die grössten Unklarheiten bezüglich einer evolutionistischen Entstehungstheorie?"

"Ganz klar im Bereich der Mechanismenfrage: Obwohl wir heute wissen, daß Mutation und Selektion  
die grundlegenden Faktoren sind, welche die Entwicklung der Arten vorantreiben, ist das  
Erklärungsschema noch viel zu unvollständig. Es gibt eine Reihe von Entwicklungsfaktoren, die wir  
gerade erst zu verstehen beginnen, die aber für ein möglichst tiefes Verständnis transspezifischer  
Evolution notwendig sind. Für sehr aussichtssreich halte ich die Forschung im Bereich der  
Entwicklungsbiologie ("EvoDevo") sowie die systemtheoretischen Ansätze, die im deutschen Raum  
u.a. auf Rupert Riedl zurückgehen.

Wichtig ist es allerdings darauf hinzuweisen, daß sich aus der Unvollständigkeit mechanismischer  
Erklärungen keine Fundamentalkritik generalisieren läßt. Erstens bedeutet Unvollständigkeit nicht  
Falschheit. Zweitens hängt die fehlende Erklärung spezieller Entwicklungsschritte auch mit der  
Unkenntnis der individuellen (oftmals historisch einmaligen) Randbedingungen zusammen. Das heißt,  
daß sich ohne solche Detailkenntnisse auch mit einer vollständigen Evolutionstheorie immer nur das  
Allgemeine und Prinzipielle erklären läßt. Und drittens ist die eigentliche Frage der Deszendenz (der  
gemeinsamen Abstammung aller Arten) von der Mechanismusfrage logisch unabhängig und durch eine  
Vielzahl empirischer Befunde so wohlbestätigt, daß heute niemand mehr ernsthaft daran zweifeln  
kann. Zumindest dann nicht, wenn er die wissenschaftliche Methodik anerkennt."

Auch er, als Anhänger des Naturalismus,  trifft die richtige Feststellung, dass die Wissenschaftler im  
Bereich Evolution bestimmte "Entwicklungsfaktoren" gerade erst zu verstehen beginnen.  
Unvollständige Erkenntnis betrachtet er jedoch als unkritisch indem er erklärt: "Erstens bedeutet  
Unvollständigkeit nicht Falschheit." Natürlich bedeutet "Unvollständigkeit" nicht "Falschheit", denn das  
sind völlig verschiedene Begriffe. Doch jeder Wissenschaftler sollte eigentlich wissen, dass man jede  
Spekulation mit scheinbar lückenlosen Kausal-Ketten beschreiben kann, wenn man  z.B. nur den  
Anfang weglässt oder beliebige andere Teile. Richtig ist demnach die Aussage, dass Unvollständigkeit  
je nach Kontext erhebliche Fehlinterpretationen der vorhandenen Fakten ermöglicht. Das ist der  
Alptraum der Naturalisten und wird daher einfach verdrängt.
 
Dass zweitens die Einmaligkeit des postulierten Evolutions-Prozesses als historisches Ereignis nicht  
beliebig reproduziert werden kann, ist einzusehen. Dass man dennoch definitive Aussagen dazu  
macht, ist jedoch nicht einzusehen. Etwas mehr Theorie-Bewusstsein kann man von den  
Evolutionisten schon erwarten. Da hilft die Behauptung, dass "heute niemand mehr ernsthaft daran  
zweifeln kann" gar nicht weiter, denn ein Zweifler wird ja als jemand hingestellt, der die  
wissenschaftliche Methodik der Naturalisten nicht anerkennt (ein böser Zirkelschluss).
 
Adolf Portmann, der 1982 starb, äußerte sich in diesem Zusammenhang wie folgt: "Es ist überheblich  
anzunehmen, das jetzt und hier Erforschte, der gegenwärtige Stand der Arbeit enthalte alle  
wesentlichen Elemente für eine generelle Theorie der Evolution des Lebendigen. Es wäre indessen  
ebenso überheblich zu behaupten, das zur Zeit Erforschte hätte keinen Erklärungswert im Hinblick auf  
das ungeheure Problem der Evolution." Dem kann nicht widersprochen werden. Leider machte er  
keinen Unterschied zwischen Mikro-Evolution und Makro-Evolution, denn letztere hat nach wie vor  
keine guten wissenschaftlichen Grundlagen.
 
*)  Die Wissenschaft ist seit der Aufklärungszeit für viele Menschen auch die Grundlage für ihr persönliches Weltbild   
geworden. Der Grund dafür war und ist, dass das Prägen des persönlichen Weltbildes alternativ durch eine persönliche  
Religion erfolgt. Gegenwärtig gibt es den Konsens unter naturalistischen Wissenschaftlern, die Wissenschaft als Grundlage  
eines relativ gesicherten Weltbildes zu betrachten. Naturalisten sind sich leider meist nicht bewusst, welche Schwachpunkte  
Ihrem Weltbild anhaften. (siehe Evolution/Naturalismus)