Die Schwachstellen des (methodischen) Naturalismus

Stefan Taborek, Dresden  20.02.2008

stefan@canaletto.net







Die dritte Schwachstelle des Naturalismus - Ursprung Materie

Im Folgenden wollen wir noch einmal etwas ausführlicher die größte und unannehmbarste Inkonsequenz der Naturalisten herausstellen. Während sie auf der einen Seite, bedacht sind, Hypothesen auszuschließen, die auf der Wirkung von "Transzendentem" aufbauen, verwenden sie die Wirkungen transzendenter Kräfte in allen ihren eigenen Theorien. Dieser Widerspruch wird natürlich nicht auf den ersten Blick sichtbar. Er steckt implizit in den Hypothesen des Naturalismus.
Diese "transzendenten" Kräfte, von denen jetzt die Rede sein wird, werden von Naturalisten niemals hinterfragt, sondern sie sind einfach da - mit einer Art Zauberformel herbeigeholt. Diese Formel lautet (natürlich in vielen Varianten) sinngemäß:  "... Ursachen sind die materie-immanenten Eigenschaften." Es wird richtig formuliert, dass es für viele Wirkungen eine Ursache gibt, die innerhalb der geheimnisvollen Materie selbst zu liegen scheint.

                       Evolution der Evolution

                Lebende Maden sind Folge fleisch-immanenter Eigenschaften

                Leben ist Folge zell-immanenter Eigenschaften

                Zellprozesse sind Folge materie-immanenter Eigenschaften


Diese Erklärungsmethode gab es in abgewandelten Formen auch in der Vergangenheit.  Damals, als die Wissenschaft nach dem Ursprung des Lebens zu suchen begann, wurde die so genannte Urzeugungstheorie aufgestellt. Das augenscheinliche Beispiel für spontane Zeugung, war das Auftreten von Maden in verfaulendem Fleisch. Das Experiment zeigte, dass sich Maden aus totem Fleisch bilden, und das Experiment war überall reproduzierbar. Mit heutigen Worten hätte man damals gesagt, die Maden entstehen aufgrund der fleisch-immanenten Eigenschaften, wiewohl diese Aussage in fast jeder Hinsicht falsch ist.

Später als die Zelle entdeckt worden war, erklärte man alle Funktionen von Mehrzellern, als natürliche Funktionen der Zelle selbst, ohne dass man irgendetwas über das wirkliche Innenleben der Zelle wusste. Leben wurde in dieser Phase der Wissenschaft von den Naturalisten quasi als zell-immanente Eigenschaft betrachtet. Gemeint war letztlich das Funktionsspektrum der gesamten Zellmaschinerie; das Zusammenspiel von bis zu einer Millionen molekularer Maschinen, das erst von später entwickelten Wissenschaftszweigen untersucht wurde.

Als man schließlich die Ebene der Zellchemie betrat, wurde Leben plötzlich als ein hochkomplexes Phänomen sichtbar. Die neuen Entdeckungen erforderten eine Erweiterung der methodisch-naturalistischen Erklärung für den Ursprung des Lebens. Es wurden sehr viele Entdeckungen auf dieser Ebene gemacht, die in ihrem Zusammenspiel ein System ergeben, dessen Einzelheiten noch immer nicht restlos erklärbar sind. Der Begriff  „Black Box" ist auch heute noch die treffendste Beschreibung für die Zelle, denn das Zusammenspiel der Millionen Enzyme mit deren eigenen Endprodukten und die Zusammenhänge auf  molekularer Ebene sind bisher am wenigsten aufgeklärt.

Es stellt sich die Frage, ob wir in dieser Entwicklung der Biologie, eine Entwicklung vorfinden, die Schritt für Schritt das Prinzip des Naturalismus nachzuweisen versucht, oder ob diese Entwicklung aufzeigt, wie die naturalistische Biologie Stufe für Stufe ihre Position aufgeben musste, weil sie nicht in Betracht zog, dass die Wahrheit viel komplexer ist.

In Fachartikeln werden zwar auch Feinstrukturen der Enzymsteuerung mit physikalischen und chemischen Methoden bis in die Elementarschritte aufgelöst, dabei aber viele Erklärungs-Versuche gemacht, die oft auf die materie-immanenten Eigenschaften Bezug nehmen. Mit anderen Worten, viele Funktionen der DNA, der Zellorganelle und enzymatischen Maschinen sind nur erklärbar, weil die Atome, Protonen, Neutronen, Elektronen und andere Elementarteilchen und deren Gesetzmäßigkeiten so überragend für diese Funktionen geeignet sind.

Das Ursprungsproblem hat sich nun auf die Ebene der Selbstorganisation dieser wundersamen subatomaren Teilchen bzw. der Atome verlagert. Die Materie selbst ist die nächste „Black Box“, die es zu öffnen gilt. Man beachte, dass diese nächste "Black-Box" nicht deshalb geöffnet werden muss, weil die vorangehende "Black-Box" gewissermaßen aufgeklärt wurde und verstanden wurde, sondern die nächste "Black-Box" muss geöffnet werden, um die vorhergehenden Probleme zu verstehen.

Die dreidimensionalen Proteinstrukturen einer Zelle oder einer Komponente der Zelle sind in der DNA codiert. Jede Untersuchung einer solchen Struktur zeigt, dass für deren exakte Beschreibung eine viel größere Informationsmenge benötigt wird, als auf dem relevanten DNA-Abschnitt gespeichert ist, der für die Synthese des Objekts codiert. Auf diesen Widerspruch wies schon sehr früh Jacques Monod hin. Er gab auch eine Antwort, weil der Widerspruch auf eine Informations-Differenz hinwies, für die es zunächst keine naturalistische Erklärung gab. Er zeigte, dass diese Proteinstrukturen zusätzliche Informationen aus dem Milieu entnehmen, in dem sie synthetisiert werden - Milieubedingungen sind z.B. Temperatur, Ionenkonzentration, Lösungsstoffe usw.  Was aber besagt diese Erklärung implizit? Diese Erklärung ist tatsächlich nur  eine Umschreibung des Begriffes „materie-immanente" Eigenschaften. Monod sagte nichts anderes, als dass der gesuchte Informationsrest aus den Eigenschaften der angrenzenden Materie entstammt. Er setzt also in seiner Erklärung unübersehbar voraus, dass wir diese Eigenschaften zur Verfügung haben, ohne nach deren Ursache oder Herkunft fragen zu wollen. Das ist eine wissenschaftliche  Schwachstelle, die nicht in der Wissenschaft erlaubt werden darf.

Kein Lehrbuch der Naturalisten lässt das sogenannte Miller-Experiment aus, das als Standard-Experiment gilt, um nachzuweisen, dass in einer postulierten „Ur-Atmosphäre“ alle möglichen Aminosäuren einfach durch Energiezufuhr entstehen. In einem solchen Buch wird eine Grafik gezeigt, die den Prozess der Protein-Entstehung in vier Stufen unmittelbar mit diesem Experiment in Verbindung bringt. Zur Abbildung wird dann die Erläuterung beigefügt, dass die Schritte 1 bis 3 im Modellversuch von S.L. Miller (1955) experimentell nachgewiesen worden sind. Und im folgenden Satz wird tatsächlich gesagt: „Das Problem der Bildung der organischen Stoffklassen (Kohlenhydrate, Proteine, Nucleinsäuren) (4) aus den Produkten (3) konnte noch nicht eindeutig geklärt werden“.

Damit überschreitet das Lehrbuch jede Grenze. Zur Veranschaulichung wollen wir diese 4 Stufen mit der Herstellung von Ziegelsteinen vergleichen. Dann könnte man im übertragenen Sinn etwa folgendes behaupten. Es konnte bereits nachgewiesen werden, dass aus dem Rohmaterial Erde in der Apparatur mehrere Arten Ziegelsteine entstehen konnten. Dass sich während dieser Prozesse auch eine Ziegelproduktionsmaschine zusammengesetzt hat, konnte noch nicht eindeutig nachgewiesen werden. Dieser Vergleich soll uns vor Augen führen, dass die Bildung von Aminosäuren auf einer Ebene abläuft, die nicht mit der Entstehung von Proteinen oder Peptiden vergleichbar ist, deren Selbstentstehung nicht nur nicht „eindeutig“ sondern gar nicht geklärt ist.

Klar ist, dass alle Beschreibungen einer potenziellen Selbstorganisation, die auf der Ebene von Molekülen beginnt, nicht haltbar wären, wenn es die höchst komfortablen Funktionen der Atome nicht gäbe, die alle Prozesse, die die Naturalisten in ihre Modelle einbauen, präzise ablaufen lassen. Aus dieser Perspektive gesehen, ist die primäre Frage der Wissenschaft, die Frage nach den Ursachen für die Eigenschaften der Materie und Energie.

Aus welchem Grund gibt es überhaupt Energie und Materie?  Ist es denn wissenschaftlich überhaupt zulässig, diese komplexen, „hochbegabten“ Bausteine der Natur mit ihrem unglaublichen Potenzial an wundersamen Eigenschaften einfach als die naturalistische Grundlage einer vermeintlichen Selbstorganisation zu postulieren? In vielen naturalistischen Beschreibungen eines Prozesses  wird die "Black Box" Materie als Arbeitshypothese vorausgesetzt. Evolutionsbiologen haben den so genannten molekular-darwinistischen Lösungsansatz gefunden, der auf einer natürlichen Selektion im Sinne Darwins im Bereich der unbelebten Materie beginnt.

Dieses Hinnehmen der "wunderbaren" und "wundersamen" Naturmodule sollte man doch eher damit vergleichen, dass jemand einen Computer aus den sieben wichtigsten Modulen (Stromversorgung, Hauptplatine, Prozessor, Arbeitsspeicher, Eingabegeräte, Ausgabegeräte und Massenspeicher) zusammensteckt und dann behauptet, dass der Computer doch eigentlich ein ganz simples System sei. Die Wahrheit ist weit davon entfernt, denn die Module oder Baugruppen sind sehr komplex und verfügen über Schnittstellen, die das erwartete Zusammenwirken perfekt unterstützen - ganz zu schweigen von der Software des Betriebssystems und der Energie für den Antrieb.

Jedenfalls ist eine Beschreibung des Lebens, die von den Eigenschaften der Bausteine der Natur als gegeben ausgeht, keine wissenschaftlich abgeschlossene Beschreibung. Es scheint einiges sogar dafür zu sprechen, dass die Vorgänge in der Ebene des Subatomaren derart komplex und kompliziert sind, dass wir uns momentan nicht die geringste Vorstellung davon machen können.

Die Frage, ob Leben und Intelligenz eine rein naturalistische Ursache haben oder nicht, kann nur geklärt werden, wenn wir uns mit dem rätselhaften Begriff "materie-immanente" Eigenschaften befassen. Dazu müssen natürlich die Fragen gestellt werden, was Materie oder Energie eigentlich ist, und welchen Ursprungs ihre Eigenschaften sind. Die erste Frage wird mit ungeheurem Fleiß vieler Physiker untersucht. Die zweite Frage ist so gut wie tabu, wenn man beachtet, dass auch solche wesentlichen Theorien, wie die Urknall-Theorien, keine Fragestellung dazu enthalten, sondern so tun, als wäre diese Frage bereits beantwortet. Oder man behauptet schlicht, solche Fragen gehörten ins Reich der Religion oder Philosophie.

Wie unscharf ein Anhänger des Naturalismus hier diskutiert, wird deutlich, wenn man die naturalistische Position, die vor siebzig Jahren gelehrt wurde, mit der heutigen vergleicht. Damals nämlich wurde zum Ursprung des gesamten Universums keine Aussage zugelassen und man behauptete schlicht, das Universum sei ewig schon vorhanden. Als dann die Urknall-Theorie aufkam, wurde sie zunächst heftig bestritten, dann aber völlig vereinnahmt. Damit hat sich der Naturalist von einer Position zur nächsten geschwungen, wie eine Biene von einer Blüte zur nächsten.

Die Existenz der Materie und Energie konfrontiert uns Menschen mit einer Frage, die wahrscheinlich nicht mit den bekannten wissenschaftlichen Methoden beantwortbar ist. Gleichzeitig ist die Existenz der Materie jedoch der Grund für alle Erscheinungsformen der (materiellen) Welt. Die Naturgesetze sind mit der Existenz der Materie gekoppelt und genau diese bestimmen den Ablauf aller Prozesse. Es liegt also jedem Prozess und jedem Objekt eine Kausalkette zugrunde, die auf eine nicht falsifizierbare Ursache zurückgeführt, nämlich den Ursprung der Materie. Ob jemand eine naturalistische Position oder eine andere Religion vertritt,  einen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit kann nicht geltend gemacht werden. Diese Einsicht würde der Menschheit sehr helfen.

Als die naturalistischen Denkansätze zum Standard der Naturwissenschaft gemacht wurden, war das Weltbild noch einfach und man wusste über die Natur der Materie im Vergleich zu heute kaum etwas. In diesem Kontext schien es erlaubt zu sein, die Atome als kleinste, unbelebte Bausteine aller Objekte an den Anfang aller Kausalketten zu stellen, ohne deren Herkunft diskutieren zu müssen. Heute sieht das Weltbild der Wissenschaft anders aus, und es erscheint als schwerer Bruch mit den ansonsten strengen wissenschaftlichen Prinzipien, die so unvorstellbar komplexe Ebene der elementaren Bausteine des Universums ohne jede Frage an den Anfang zu setzen.

Erst wenn wir wissen, "warum" Materie existiert und wie deren immanenten Eigenschaften entstanden, können wir erklären, welcher Sinn hinter der Ursprungsfrage steckt. Vielleicht müssen wir dann mit so mancher Forschung wieder bei null anfangen. Offen bleibt vieles - besonders teleologische Ansätze und solche Ansätze, die aus der Global-Scaling-Theorie folgen könnten. Im Moment kommen wir nicht umhin, zu sagen, dass alles, was lebt, nicht ohne die Vielfalt der Eigenschaften der Atome, der Materie, existieren könnte.


  Zusammenfassung

Der methodische Naturalismus darf nicht die hochkomplexe Basis aller Moleküle, die Atome und das Subatomare, als gegeben voraussetzen - quasi als hochkomplexe Module mit immanenten Eigenschaften, die zwingend zu unserem Dasein beigetragen haben. Gerade dieser Kosmos des "Wundersamen" fordert uns Menschen heraus, nach dessen Ursprung zu fragen.