ID-Theorie

Eine kritische Auseinandersetzung mit ID
mit Philip Kitcher in seinem Werk "Mit Darwin leben"

Teil 4

Wie bereits im 1. Teil dieser Besprechung des Werkes von Kitcher herausgestellt wurde,  
kann man entgegen den Intentionen des Verfassers ID nicht in die Kategorie der  
kreationistischen Theorien einordnen. Kitcher baut jedoch seine gesamte Argumentation  
auf dieser Prämisse auf, wodurch die Relevanz für eine wirkliche Debatte um ID stark  
herabgesetzt wird. Dennoch soll hier seine Argumentation verfolgt werden und auf  
spezifische Irrtümer, die Teils auf Unwissen und Teils auf ungeprüft übernommene Thesen  
zurückzuführen sind, hingewiesen werden.
 
Aus diesem Grund wird der Begriff "Kreationist", wann immer er von Kitcher verwendet  
wird, auch so verstanden, wie er es beabsichtigt - als Vertreter der ID-Theorie.
_______________________________________________________________________
_
 
Das vierte Kapitel des Buches "Mit Darwin leben" hat die Überschrift "Dem Zufall  
ausgeliefert?"
Auf S. 97 schreibt Kitcher sein Unwissen über Intelligent-Design nieder. Er schreibt:  
"Manche - vielleicht die ersten Vertreter des Intelligent-Design? - gingen zwar davon aus,  
dass die Vielfalt des Lebens sich in der Evolution herausgebildet hatte, dieser Prozess aber  
durchgängig von der Hand des Schöpfers geleitet worden sei." Wie bereits im 3. Teil  
dieser Besprechung dargelegt, ist es in der Tat so, dass die horizontale Evolution (auch  
Mikro-Evolution) gemäß der ID-Theorie von wesentlicher Bedeutung ist, doch die  
einfaltige Vorstellung Kitchers, dass der Schöpfer den Prozess durchgängig geleitet hat, ist  
unangebracht. Statt dessen geht die ID-Theorie davon aus, dass die Fähigkeit eines  
biologischen Systems zur Evolution eines der komplexesten Konstruktions-Merkmale der  
Lebewesen überhaupt ist. Diese Fähigkeit ist in das genetische System aller Stamm-
Formen mit höchster Intelligenz implementiert worden, so dass es auch in der Lage ist,  
diversifizierende Lebensformen eine lange Zeit autark zu kontrollieren.   
 
Kitcher erklärt nun, wie sich im Laufe der Zeit innerhalb des Darwinismus  
herauskristallisierte, dass die Hauptantriebskraft für den evolutionären Wandel der  
Lebensformen die natürliche Selektion ist. Diese Position konnte sich jedoch erst  
etablieren, nachdem die Chronologie der Erdzeitalter neu geschrieben worden war. Eine  
völlige Neuorientierung der Evolutionisten war natürlich mit der Entdeckung der Gene  
verbunden und nachdem diese Fakten zur Verfügung standen, wurde die Evolutions-
Theorie letztlich so umgeformt, dass die eigentliche Veränderung des Individuums im  
Genom stattfinden muss. Im Laufe der Forschungen ergaben sich wiederum Erkenntnisse,  
die geeignet sind, die Evolutions-Theorie zu stützen. In den Genen treten Mutationen in  
Form von z.B. Verdopplung eines Gens, Ersetzungen oder Entfernungen von Basen auf.  
Auf solchen Mutationen baut die Theorie maßgeblich auf. Hier wird der Unterschied  
zwischen der Evolutions-Theorie und der ID-Theorie deutlich. Die Evolutions-Theorie  
behauptet, solche Mutationen seien in einem bestimmten Szenario in vielen einzelnen  
Schritten die Ursache für die Entstehung einer völlig neuen Fähigkeit eines Lebewesens.  
Die ID-Theorie behauptet, die völlig neu erworbene Eigenschaft sei von Anfang an über  
die Stamm-Form in den Genen vorhanden - lediglich abgeschaltet - aber durch die  
veränderten Bedingungen sei die Lebensform veranlasst worden, über die Regulations-
Mechanismen des genetischen Apparates dieses Gen einzuschalten. Die ID-Theorie kennt  
und beschreibt natürlich auch Mutationen und Gen-Transfer, die jedoch kaum für eine  
Verbesserung des Systems angesehen werden, sondern in der Regel für bestimmte  
Missbildungen oder Fehlbildungen verantwortlich sind, die in seltenen Fällen auch in der  
Population überleben.   
 
Kitcher stellt auf den folgenden Seiten heraus, dass die natürliche Selektion als  
wichtigster Evolutions-Faktor wissenschaftlich bestätigt werden konnte. Er schreibt auf  
S.101: "Sieben Jahrzehnte geduldiger Forschung haben ein eindrucksvolles Spektrum an  
Beispielen erbracht, manche vollständiger und strenger als andere, die mit hinreichender  
Sicherheit zeigen, dass die natürliche Selektion die von Darwin behauptete Leistung zu  
erbringen vermag." Auf der folgenden Seite relativiert Kitcher seine Aussage wie folgt:  
"Doch so viel die Erforscher der natürlichen Selektion auch erreicht haben (und wir sollten  
ihre Leistung nicht unterschätzen), gibt es eindeutig Dinge, die sie wohl niemals werden  
beweisen können." Dieser Satz soll den Leser darauf vorbereiten, nun zu erfahren, dass  
es [im Labor] nie gelingen werde nachzuweisen, dass die großen Übergänge von einer  
Klasse zur anderen Klasse aufgrund der natürlichen Selektion stattfanden. Kitcher stellt  
das Problem nun so dar, als würden Evolutions-Gegner fordern, diesen Nachweis zu  
erbringen, denn dann kann er ironisch antworten: "Niemand kann diese Forderung  
erfüllen. ... weil die Forderung von absurder Naivität ist." Da bleibt anzumerken, dass  
diese Forderungen auch von keinem ID-Vertreter gestellt wurden.
 
Auf S. 106 kommt Kitcher auf das "Argument des konkreten Falls" zu sprechen. Erstes  
Beispiel ist das Auge des Menschen, dessen Evolution im Detail schwer zu beschreiben ist.  
Darwin bereits hatte einen Versuch unternommen, bei dem die Lichtempfindlichkeit von  
Zellen im Mittelpunkt stand. "Es bedurfte mehr als eines Jahrhunderts und der  
Erforschung einer Vielzahl von Lebewesen, bis klar wurde, dass Darwin mit seiner  
Vermutung im Grunde recht hatte. Entgegen den ersten Anschein können  
lichtempfindliche Organe und Strukturen schrittweise zusammengesetzt werden, wobei  
bereits die Zwischenformen gewisse Vorteile gegenüber den Konkurrenten bieten." Kitcher  
ordnet die unterschiedlichsten Lebensformen, die auf Lichtreize reagieren können zu einer  
"Folge von Organismen" und leitet daraus die evolutive Entstehung des Auges ab.
 
Dann widmet er sich dem Biochemiker Michael Behe, den er als "Hauptvertreter des  
Arguments des komplexen Falls" bezeichnet (eine mir unbekannte Bezeichnung). "Behe  
nennt zahlreiche Beispiele molekularer Maschinen, die seines Erachtens nicht durch  
natürliche Selektion schrittweise entstanden sein können." Behe befasst sich in seinem  
Buch "Darwins Black Box" eingehend mit den beiden Antriebs-Systemen der Einzeller,  
dem Cilium und dem Flagellum. Behe argumentiert, dass diese Systeme nur in ihrer  
Endgültigen Form einen Nutzen für die Zelle darstellen, während Zwischenformen nicht  
auftreten können, da sie von der natürlichen Selektion keine Chance erhalten.
 
Kitcher hat leider nicht richtig begriffen, worauf es wirklich ankommt bei der  
Argumentation Behe's, denn er formuliert nun einen Satz, der so keinen Sinn erhält: "So  
gelangt er [Behe] zu dem Schluss, jeder Versuch, die Entstehung dieses Gebildes durch  
natürliche Selektion zu erklären, sei wegen der Komplexität der Organisation zum  
Scheitern verurteilt." So etwas würde Behe nie sagen. Die Komplexität an sich ist nicht  
sein Argument, sondern bei Behe geht es allein um das Argument der "nicht-
reduzierbaren Komplexität" (siehe hier).
 
Im Lager der Evolutionisten wird das Argument Behe's heruntergespielt und schon fast als  
gelöst behandelt. Es gibt sogar einige ganz eifrige Vertreter des Naturalismus, die  
behaupten, es gäbe gar keine irreduzible Komplexität. Wie dem auch sei, seriöse  
Wissenschaftler, ob Darwinisten oder nicht, nehmen das Argument ernst und forschen  
weiter - die Einen nach einer Möglichkeit, wie sich solche Systeme dennoch entwickeln  
konnten, die Anderen forschen nach weiteren Belegen für IC. Kitcher erkennt trotz seines  
Unverständnisses der Argumentation, dass da ein echtes Problem für den Darwinismus im  
Wege liegt und kontert einfach damit, dass es in den meisten Wissenschaften ungelöste  
Probleme gibt, die jedoch irgendwann gelöst werden. Um den Leser zu beruhigen schreibt  
er: "Die Geschichte ist reine Phantasie, und die Darwinisten sollten sich nicht davon  
beeindrucken lassen."
 
Auch die Entstehung des Blutgerinnungs-Systems ist für Darwinisten schwer erklärbar.  
Dazu sind unendlich viele Annahmen notwendig, die alle nicht beweisbar sind. Behe  
benutzt auch dieses System als ein Beispiel für irreduzibel-komplexe System, deren  
einzelne Bestandteile erst sinnvoll nutzbar sind, wenn das gesamte System existiert.  
Kitcher entwertet dieses Argument durch eine Gegenargumentation, die zeigt, dass auch  
fast Unmögliches letztlich eben doch möglich ist. In diesem Zusammenhang behandelt der  
auch den Ursprung des Lebens. Er schreibt auf S.124: "Der Ursprung des Lebens ist schon  
deshalb ein sehr schwieriges Problem, weil wir so wenig über die Randbedingungen einer  
möglichen Lösung wissen. Die Darwinisten nehmen an, dass unter unbekannten  
Ausgangsbedingungen biologisch bedeutsame Moleküle - Nukleinsäuren und Proteine -  
entstanden sind und schließlich zu einer Zelle zusammengebaut wurden." Da kann man  
nur staunen!
 
Alle Wahrscheinlichkeits-Betrachtungen der ID-Vertreter seien wertlose Zahlenspiele,  
argumentier Kitcher, weil wir so gut wie nichts über die Ausgangsbedingungen in einer  
Ursuppe wissen. Doch wenn man nichts weiß, dann ist jede Theorie - in welche Richtung  
auch immer - nur Spekulation. Das erkennt Kitcher an dieser Stelle auch und schreibt:  
"Wenn unsere Unwissenheit tatsächlich so groß ist, wie können die Darwinisten dann  
behaupten, sie wüssten, dass das Leben durch die heute von ihnen akzeptierten Prozesse  
entstanden sei und sich diversifiziert habe?" Kitcher kommt zu der sehr interessanten  
Überlegung, dass Evolutionisten sich inbezug auf die scheinbare Unlösbarkeit einiger  
Probleme fragen sollten, "ob man sie lösen kann, ohne die Ressourcen des orthodoxen  
Darwinismus zu erweitern". Vorsichtig formuliert: "Bedarf es zu einem vollen Verständnis  
der Geschichte des Lebens neben den Mechanismen der natürlichen Selektion vielleicht  
noch andere Elemente? Und falls ja, käme da nicht auch Intelligent Design in Frage?"
 
Diesmal argumentiert Kitcher auf einer anderen Linie, indem er die Frage aufwirft, nach  
welchen Kriterien überhaupt festgestellt werden kann, "ob ein Mechanismus intelligent ist  
oder nicht". Die Intelligenz darf seiner Meinung nach nicht personifiziert werden, "auch  
wenn man sich schwer vorzustellen vermag, welchen Sinn die Zuschreibung von  
Intelligenz ohne eine Personifizierung überhaupt haben könnte". Schließlich geht Kitcher  
sogar soweit, dass er seine eigene Definition einer unpersönlichen Intelligenz in das ID-
Theorie-System einbaut und dann einen Widerspruch entdeckt, weil es nicht möglich sei  
von scheinbaren Eigenschaften eines Produktes auf den Urheber zu schließen. Da es sich  
nur um Gedankenspiele handelt, bleibt die Frage nach deren Nutzen.
 
Eine andere Sache ist die Regelmäßigkeit in vielen biologischen Strukturen - Blütenblätter,  
Muschelschalen, Schmetterlinge, Honigwaben und vielen anderen (S.128). Diese  
Strukturen werden auch im Rahmen der ID-Theorie alternativ und von Fall zu Fall  
interpretiert. In den meisten Fällen lassen sich diese Strukturen einfach mathematisch  
beschreiben, was den Schluss nahelegt, dass die Ursachen für viele solche Strukturen in  
der Physik zu suchen sind.
 
Auf S. 131 fordert Kitcher einige widerspruchsfreie Prinzipien seitens der ID-Theorie, die  
ihre Anwendung klar umreisen. "Erstens muss es Prinzipien geben, aus denen hervorgeht,  
wann die 'Intelligenz' eingreift." "Zweitens muss es Prinzipien geben, die uns sagen, was  
die 'Intelligenz' tut, wenn sie eingreift."
 
Die Antwort im Rahmen der ID-Theorie könnte etwa wie folgt lauten: Der gesamte  
Prozess, den der Schöpfer begleitet, ist der Prozess der Herstellung eines Lebensraumes  
für die "Krone" der Schöpfung, den Menschen. Dieser Lebensraum, auch Biosphäre  
genannt, muss von unten nach oben entwickelt und aufgebaut werden. Dem  
entsprechend waren die einzelnen Eingriffe des Designer geplant, koordiniert und  
realisiert. Der Anfang der biologischen Schöpfung war das einzellige Leben in einem  
Urmeer. Nachdem diese Einzeller im Rahmen der implementierten evolutionären Prozesse  
eine optimale Anpassung erreicht hatten und in ausreichender Menge im Wasser lebten,  
war der Zeitpunkt gekommen, den nächsten Schritt der Ausgestaltung und des Aufbaus  
der Biosphäre zu initiieren. Dieser Schritt bestand im Wesentlichen darin, einfache  
mehrzellige Systeme bereitzustellen, und diese mit der Fähigkeit auszustatten, Arten zu  
produzieren, indem sie aus der Überfülle von bereitgestellten Genen umweltbedingt  
auswählen konnten. Hier spielten sich also Prozesse ab, die wir heute als Evolution  
bezeichnen. Auf diese Weise entstanden große Mengen verschiedener Arten von Meeres-
Pflanzen und andere Lebewesen. Der Prozess der Diversifizierung der mehrzelligen  
Lebensformen schuf eine große Bandbreite neuer Formen, wovon die meisten in der  
Biosphäre der Erde eine wichtige Funktion übernehmen konnten, während einige von  
ihnen ausstarben.
 
In der soeben beschrieben Form wurde das Ziel des Designers, eine Biosphäre für die  
letzte Schöpfung zuzubereiten, zu keinem Zeitpunkt verfehlt. Jeder neue Eingriff erfolgte  
immer zu dem Zeitpunkt, an dem die Biosphäre insgesamt einen neuen  
Gleichgewichtszustand erreicht hatte. Jeder Eingriff wurde sorgfältig geplant und  
vorbereitet. Die einzelnen Schritte der Entwicklung der Biosphäre sind bekanntlich vielfach  
chronologisch in Form von Fossilien erhalten geblieben, sodass wir einen Einblick in das  
Konzept des Designer bekommen konnten. Wir erkennen im Abbild der Fossilien, dass die  
Prozesse der Evolution zu bestimmten Zeitpunkten unterbrochen wurden, das sind die  
Zeitpunkte, da die Designer neue Stamm-Formen in die Biosphäre der Erde aussetzen und  
das Gleichgewicht musste sich in der nun erweiterten Biosphäre wieder neu einstellen.  
Nachdem die Biosphäre einen Zustand erreicht hatte, der als gut geeignet für den  
Lebensraum der geplanten Menschen angesehen werden konnte, wurden die Menschen  
geschaffen. Dieser Schöpfungsprozess darf nicht getrennt von den Säugetieren  
insbesondere den Primaten eingeordnet werden. Die Primaten hatten recht viel Zeit  
erhalten, um sich innerhalb der Biosphäre auszubreiten und dabei evolutiv zu optimieren.  
Insbesondere die Optimierungsprozesse dieser Spezies dienten ganz sicher der  
Evaluierung von Detail-Konstruktionen des Menschen. Die nahe Verwandtschaft des  
Schimpansen mit dem Menschen wird im Rahmen der ID-Theorie so verstanden, dass der  
Schöpfer des Menschen auf große Teile von bewährten und optimierten "Bauteilen" dieser  
Primaten zugriff.
 
Der Rest des Kapitels besteht aus vielen Wiederholungen in allen Farben des bereits  
Gesagten. Immer wieder bringt Kitcher neue selbstgebastelte Varianten der ID-Theorie  
und befasst sich damit, obwohl kein Zusammenhang mit der Realität besteht. Als Leser  
hatte ich oft den Eindruck, Kitcher habe große Pausen während dem Schreiben dieses  
Kapitels gemacht, sodass er oft nicht mehr wusste, was er schon alles geschrieben hat  
und was nicht. Auffällig war auch der Wechsel innerhalb des Kapitels von der sonst  
üblichen Bezeichnung "Kreationisten" zu der Bezeichnung "ID-Vertreter" oder so ähnlich.